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Clean IT: Nein, wir wollen das nicht!

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Laut der Initiative „Clean IT“ sollen öffentliche Stellen und private Unternehmen zusammenarbeiten, um das Internet sauberer zu machen. Die Netzpolitikerin Dorothee Bär (CSU) fürchtet, dass diese Pläne, die in der Nachfolge von ACTA, SOPA und INDECT stehen, an unseren gesellschaftlichen Grundlagen nagen.

Nach SOPA kam ACTA. Nach ACTA kam INDECT. Und es hört nicht auf. Frei nach der bekannten Redensart: „Schlimmer denkst Du, geht’s nicht mehr, da kommt von irgendwo…“ Da haben wir uns erst allmählich von Plänen erholt, die von Überwachungsdrohnen und der Erkennung „abnormen“ Verhaltens der Bevölkerung sprechen und schon erfahren wir von Überlegungen, die selbst ein Horrorszenario wie dieses weit in den Schatten stellen: Clean IT ist da!

Provider sollen in Zukunft Inhalte überwachen und im Verdachtsfall der Polizei melden. Es sollen Schaltflächen installiert werden, um Nutzern zu ermöglichen, verdächtige Inhalte anzuzeigen. Sogenannte Onlinepatrouillen sollen sich in den sozialen Netzen umsehen, und aufgrund von Schlüsselwörtern sollen automatisierte Filter eingerichtet werden. Dies nur ein kleiner Auszug aus den Plänen, die nun bekannt geworden sind. Das Ganze soll dann eine Selbstverpflichtung sein und damit am Gesetzgeber vorbei geregelt werden. Die EU-Kommission ko-finanziert das Projekt mit 400.000 Euro.

Clean IT muss mehr sein als ein Alarmsignal

Dies alles spricht für sich. Dies alles muss nun aber mehr sein als ein ohrenbetäubendes Alarmsignal. Das Erschreckende dabei ist, dass, obwohl wir die unumstößlichen Argumente der Freiheit und der Persönlichkeitsrechte immer und immer wieder in die Diskussionen einbringen und obwohl das Ergebnis einer solchen Debatte im besten Falle das Ende eines Entwurfs a la ACTA ist, schon das nächste, noch weitgehendere Vorhaben am Horizont auftaucht. Und leider entpuppen sich die entsprechenden Vorschläge dann nicht als Jim-Knopf’scher Scheinriese, der immer kleiner wird, je näher er kommt und je genauer man ihn betrachtet, sondern vielmehr als gigantische Hydra, der man einen Kopf abschlägt, dafür zwei neue bekommt, und deren Hauptkopf unsterblich ist.

Ich gebe zu, dass viele Themen, die unter den Überbegriff „Netzpolitik“ fallen, oftmals überemotional diskutiert werden, und dass die bereits vielfach zitierte Shitstorm-Mentalität nicht immer die sinnvollsten und ausgewogensten Synthesen hervorbringt.

Aber darum geht es nicht. Wenn wir von den oben genannten Vorhaben sprechen, dann ist die Grundlage solcher Konzepte – ob sie nun alle so umgesetzt werden oder nicht – ein Grundverständnis von der Gestaltung unserer Zukunft, unserer Gesellschaft und dem Zusammenleben der Menschen in einer völlig veränderten Welt.

Der Charakter des Internets

Es geht hier um Grundsätzliches, es geht um den Charakter des Internets, um einen entscheidenden Bestandteil unseres politischen Systems. Glauben wir denn wirklich daran, dass digitale Medien den Arabischen Frühling als unverzichtbares Element gefördert haben und Sprachrohr sein konnten für politisch Unterdrückte und Verfolgte? Glauben wir daran, dass es ein Vorteil ist, wenn Menschen mit schwerwiegenden Problemen und Krankheiten mit den modernen Kommunikationsmitteln die Möglichkeit haben, sich anonym mit Gleichgesinnten auszutauschen? Stehen wir dazu, wenn wir sagen, das Internet müsse ein Grundrecht sein, weil es die Möglichkeiten auf politische Teilhabe und den Meinungsbildungsprozess für unsere Bürgerinnen und Bürger um ein Vielfaches vermehrt? Und glauben wir daran, dass digitale Medien wichtig sind für den Wirtschaftsstandort Deutschland und dass Wissen und Bildung die vielleicht wertvollsten Ressourcen dieses Landes sind?

Wenn wir dies alles glauben und wenn es uns ernst damit ist, dann müssen uns Pläne wie Clean IT schlaflose Nächte bereiten. Zumindest aber müssen sie uns dazu bringen, uns ernsthaft Gedanken darüber zu machen, wie wir die Freiheit der Menschen in der digitalen Welt schützen können; müssen uns Handlungsspielräume schaffen, um uns alle vor Überwachung und Denunziantentum zu schützen.

Demokratie als Staatsform verteidigen

Wenn wir zulassen, dass Clean IT Realität wird, haben wir als Parlamentarier nur noch unsere Bankrotterklärung anzubieten. Denn dann ist es uns nicht gelungen, gemeinsam mit den Menschen, die wir vertreten und um deren Vertrauen wir uns bewerben, das höchste Gut zu schützen und zu verteidigen, dass wir als Politikerinnen und Politiker, als Bürgerinnen und Bürger dieses Landes haben: unsere Demokratie als Staatsform.

Es mag ja für manche noch ganz unterhaltsam sein, wenn innerhalb der Parteien um netzpolitische Grundpositionen gerungen wird, und man so manches Statement vernimmt, das einem mehr zu einem Schmunzeln verleitet, als zu ernsthafter Besorgnis um die Zukunft.

Hier nun aber geht es um mehr als den politischen Alltag und seine Gepflogenheiten. Hier nun muss jegliches Taktieren, jegliche persönliche Animosität und jeder Vorbehalt gegen den politischen Gegner zurück gestellt werden. Hier geht es um alles, wofür wir die letzten Jahrzehnte gekämpft haben. Hier geht es um die Grundrezeptur der Demokratie und des Rechtsstaates.

9/11 und die digitale Revolution

Pläne wie Clean IT berufen sich meist auf zwei Ereignisse, die die Welt veränderten und dabei einen diametral zueinanderstehenden Grundtenor haben. Das Eine ist der ungeahnte Terror, der sich gegen Freiheit und gesellschaftliches Zusammenleben richtet und der in seiner Dimension im September 2001 begann. Das Andere ist die digitale Revolution, die persönliche, wie gesellschaftliche Freiheit fördert und Menschen zueinander führt, anstatt sie durch Angst und Schrecken voneinander zu trennen.

Wir müssen nun die Schlussfolgerungen ziehen. Und kann das Ergebnis wirklich die Aufgabe unserer über Jahrzehnte gewachsenen Grundprinzipien sein, das Über-Bord-Werfen von allem, was uns im demokratischen Sinne bisher heilig war?

Es geht hier nicht nur um Clean IT oder INDECT. Es geht um den grundsätzlichen Geist, mit dem wir an die Fragestellungen des digitalen Zeitalters herangehen. Wir können nicht alle paar Monate von neuem über Überwachung durch die Privatwirtschaft oder über die Einschränkung von Anonymität diskutieren. Wir können nicht immer wieder neu über die Rolle von Sicherheitsbehörden sprechen und darüber, was sie nun dürfen und was nicht. Die Diskussion muss geführt werden, aber sie darf nicht endlos sein. Wir müssen uns über das Grundziel im Klaren sein und Grenzen der Freiheitsbeschränkung definieren, die als Fundament einer Gesellschaft im digitalen Zeitalter als unverrückbares Fundament bestehen.

Nein zu Clean IT

Unseren Kindern bringen wir bei, den Mut aufzubringen, „Nein“ zu sagen, wenn Menschen ihnen etwas Schlechtes wollen. Wir halten sie an zu sagen: „Nein, ich will das nicht.“ Genau das sollten wir, Politikerinnen und Politiker, Bürgerinnen und Bürger nun auch tun, wenn es um Pläne wie Clean IT geht: „Nein, wir wollen das nicht!“

Portrait Dorothee BärEs ist mir ernst: Nehmt die Parteibrillen ab und lasst uns gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern dafür kämpfen, dass Irrsinnspläne wie Clean IT keine Chance haben und niemals umgesetzt werden können!

Das ist mein Appell als Politikerin, als Bürgerin dieses Landes und als Mutter meiner Kinder, die das digitale Zeitalter als Zeitalter der Freiheit erleben sollen.

Dorothee Bär, Mitglied des Bundestages, ist Vorsitzende des CSUnet, des CSU-Netzrates und stellvertretende CSU-Generalsekretärin.


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